28. Dez
2019

Weihnachtsbriefe 2019

Weihnachtsbriefe 2019

Auch in diesem Jahr haben uns aus unseren Heimen in Indien wieder viele bunte Weihnachtsbriefe der Mädchen erreicht. Sie alle bedanken sich bei uns, ihren „Dear friends“ für die Unterstützung aus Deutschland, die es ihnen ermöglicht, in die Schule oder aufs College zu gehen oder eine Ausbildung zu machen.  Alle bedanken sich auch für das neue Kleid, das sie letztes Weihnachten bekommen haben. „Wir haben Glück hier im Heim zu sein“, schreibt eine 13-jährige. „Denn hier bekommen wir alles, wir brauchen uns keine Sorgen mehr zu machen und leben hier geschützt und in Frieden“. Und – fügt eine Fünftklässlerin hinzu: „Hier bekommen wir richtig viel Essen, was sogar schmeckt.“ In vielen Briefen klingt aber auch der Schmerz durch, keine Eltern mehr zu haben, oder einen Vater, der jeden Abend seinen Tagelohn vertrinkt. “Ich bin froh, hier zu sein, denn nun kümmert sich jemand um mich“, schreibt Santani, die mit ihrer kleinen Schwester in Shanti Dhama aufgenommen wurde. „Meine Mutter ist tot und mein Vater sitzt im Gefängnis. Manchmal bin ich sehr traurig, und dann fällt es mir schwer, mich in der Schule zu konzentrieren.“  Keinen Vater mehr hat auch die 16jährige, deren Mutter die Familie durchbringt, indem sie Blumen auf dem Markt anbietet. Sie schreibt: „Nun bin ich in der 12. Klasse, und ich muss unbedingt Lehrerin werden. Bitte helft mir dabei, damit ich dann meiner Familie helfen kann.“ Unbedingt Lehrerin will auch eine Zwölfjährige werden, „denn ich will unbedingt eine bessere Zukunft haben“.

Eine ganze Reihe von Hindu-Mädchen ist neu in unseren südlichen Heimen aufgenommen worden, die nun ganz gespannt auf Weihnachten sind, was sie ja nicht kennen. Mit den kleinen Mädchen wird nämlich schon eifrig gebastelt und gebacken. Das ist Tradition bei den Marys, denn die Gründerin ihres Ordens kam ja aus Deutschland. „Ich bin froh hier zu sein“, schreibt eines dieser Hindu-Mädchen, denn hier gibt es ja so viel zu lernen. „Morgens stehen wir früh mit Musik auf, dann wird gebetet, dann machen wir sauber, dann lesen wir die Zeitung, damit wir wissen, was in der Welt los ist, und dann gehen wir zur Schule. Bei mir zuhause gibt es das alles nicht. Meine Eltern arbeiten den ganzen Tag auf dem Feld und kommen erst spät in der Nacht nach Hause.“

Da die meisten Eltern ungelernte Tagelöhner sind und häufig auf Arbeitssuche in die weitere Umgebung gehen, überschreiten sie schnell mal Landesgrenzen zu den Nachbarstaaten, in denen eine völlig andere Sprache gesprochen und geschrieben wird. Das macht Laxmi aus der 5. Klasse ordentlich zu schaffen. „Ich bin neu im Heim“, schreibt sie, „und die Schule fällt mir sehr schwer. Denn vier Jahre wurde ich in Marathi unterrichtet und nun muss ich alles in Kannada machen. Aber meine Freundinnen helfen mir und ich bin froh, hier zu sein. Denn nun geht mein Leben in eine neue Richtung.“ (Marathi ist die Sprache in Maharashtra mit seiner Hauptstadt Bombay und teilweise in Goa, Kannada wird in Karnataka gesprochen, dem Staat, in dem die südlichen Heime von LIFT liegen.)

Große Sorgen machte uns im Frühjahr Spoorty in unserem Collegeheim Premanjali. Ihre Mutter ist tot, verbrannt, wie sie lakonisch mittteilte, wobei es sich wahrscheinlich um einen Mord, vielleicht einen Mitgiftmord handelte, denn ihr Vater ging gleich darauf eine neue Ehe ein. In seinem Haus wollte er da allerdings das Mädchen und ihren kleinen Bruder nicht mehr haben. So flüchteten die beiden zur Großmutter, die aber, weil sie an Krebs erkrankte, die Kinder wieder in die Obhut des Vaters zurückgeben wollte. Der jedoch plante sich des Mädchens endgültig zu entledigen, sprich sie als Minderjährige verheiraten. Er erschien also in Premanjali und verlangte, dass die besonders gute Schülerin ihm ausgehändigt würde. Spoorty schickte damals einen Hilferuf: “Steht mir bei, ich möchte hierbleiben und weiter studieren.“ Es war nicht leicht, das hinzubekommen, aber es gelang.

Nun schreibt sie einen Brief, der so bemerkenswert ist, dass wir ihn in Gänze zitieren wollen: “Ich stehe jetzt vor meinem Abitur und ich freue mich, über mein Studium zu berichten. Besonders mag ich die Fächer politische Wissenschaften, Geschichte und Soziologie. So lerne ich zu verstehen, was die gegenwärtigen Probleme der Gesellschaft sind. Ich danke Euch für all Eure Unterstützung, dass ich hier lernen kann. Welch ein Glück habe ich. Die Schwestern sind auch gut, denn sie machen aus mir eine starke Person. Ich bete ständig zu Gott, dass er meinen Vater dazu bringt, mir zu erlauben, weiter zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Mein Traum ist es, Jemand im Leben zu werden und für mich allein einstehen zu können.“

Text: Dr. Gabriele Venzky

Weihnachtsbriefe aus den LIFT Heimen 2019

Weihnachtsbriefe 2019